Editorial
Geschätzte Leserin, geschätzter Leser,
«Wir lernen am Auftrag. Was wir lernen, dient der Weiterentwicklung der Einsätze und damit der zeitgemässen Auftragserfüllung.» Als diese Sätze 2018 Eingang in das Leitbild des Bundesamts für Zivildienst ZIVI fanden, dachte niemand an eine Pandemie, deren Bewältigung viele Herausforderungen und Lerneffekte mit sich bringt. Das vergangene Jahr gab diesen Sätzen eine neue Bedeutung. Es unterstrich, wie wichtig es ist, eine lernende Organisation zu sein.
«Lernen am Auftrag» bedeutete in erster Linie, ordentliche Einsätze des Zivildienstes in Institutionen der Pflege und Betreuung, die vor dem Ausbruch der Pandemie geplant, begonnen und auf Unterstützung im Normalbetrieb der Gesundheits- und Sozialeinrichtungen ausgerichtet wurden, unter den erschwerten Bedingungen weiterzuführen. Dass am 16. März 2020 rund 3500 Zivis in Spitälern, Pflege-, Betreuungs- und Alterseinrichtungen bereits im Zivildiensteinsatz standen und in der Folge durch pragmatische Anpassung ihrer Pflichtenhefte auch in der Pandemie-Situation wirksam Unterstützung leisteten, hat das Gesamtsystem entlastet. Es hat dazu beigetragen, dass die Anzahl zusätzlich zu mobilisierender Dienstpflichtiger begrenzter ausfallen konnte. «Lernen am Auftrag» bedeutete auch, zusätzliche Zivis gemäss dem Bedarf der Kantone und dem Koordinationsprozess des Ressourcenmanagement Bund (ResMaB) in Notlageeinsätze zu bringen. Dass dies gelungen ist, zeigt die Vollzugsstatistik: Zivis standen in vielen Kantonen und Monaten des Jahres 2020 in ordentlichen und in Notlage-Einsätzen; die Zahl der geleisteten Diensttage lag leicht höher als im Vorjahr – trotz rückläufiger Anzahl Zulassungen zum Zivildienst.
«Wir lernen am Auftrag. Was wir lernen, dient der Weiterentwicklung der Einsätze und damit der zeitgemässen Auftragserfüllung.»
Am Auftrag zu lernen – das war aber ebenso ein Erfordernis für die internen Ablaufprozesse des Bundesamtes ZIVI. Es galt beispielsweise die Ausbildungskurse und Einführungstage in kurzer Zeit von einem Präsenz- in einen Fernunterricht resp. – als es die Lage im Sommer 2020 erlaubte – wieder zurück in einen Präsenzunterricht zu überführen. Viele über Jahre gelebte Prozesse – von der Zulassung von Gesuchstellern über die Betreuung von Zivis und Einsatzbetrieben – mussten hinterfragt und so gestaltet werden, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen eingehalten und die Leistungen des Zivildienstes nicht geschmälert werden.
Das Lernen beschränkt sich nicht auf das Bundesamt ZIVI und den Zivildienst. Das vergangene Jahr hat ebenfalls gezeigt, wie wichtig und leistungsfähig die strategische und operative Zusammenarbeit unter den Dienstpflichtorganisationen und verschiedenen Akteuren der Krisenvorsorge und -bewältigung ist. Lernen bedeutet in diesem Zusammenhang, offen für Vorschläge zur Weiterentwicklung des Dienstpflichtsystems zu sein. Silodenken ist bei dieser Arbeit der falsche Weg.
Die Alimentierung von Armee und Zivilschutz mit Dienstpflichtigen in genügender Zahl und mit den erforderlichen Kompetenzen muss nachhaltig sichergestellt sein. Wo erforderlich, werden innovative Weiterentwicklung der Dienstpflichtorganisationen und der Dienstarten nötig sein. Dabei sollen die folgenden Elemente mitgedacht und -berücksichtigt werden. Zur Lösung des Problems der Militärdienstverweigerung aus Gewissensgründen muss auch künftig ein – wie auch immer gearteter – ziviler Ersatzdienst bestehen. Gerade weil der heutige Zivildienst im Einsatz keine eigene Führungsstruktur und Logistik hat, verfügt das Bundesamt ZIVI über einzigartige und für die Zukunftsgestaltung relevante Erfahrung und Expertise im «Matching» von zivilen Dienstpflichtigen und öffentlichen und privaten gemeinnützigen Institutionen, die als Vollzugspartner auf Augenhöhe in normalen, besonderen und ausserordentlichen Lagen Dienstleistungen zur Deckung des gesellschaftlichen Bedarfs erbringen.
Auch dieses Produkt, das Sie vor sich haben, ist Ausdruck solchen Lernens. Seit dem vergangenen Jahr erscheint der Jahresbericht des Bundesamts als reines Digitalprodukt. Ich freue mich, Ihnen den Jahresbericht 2020 zu präsentieren. Er enthält nebst der Berichterstattung über die Kennzahlen des Vollzugs und des betriebswirtschaftlichen Ergebnisses drei aktuelle Fokusthemen: die Frage des Verhältnisses von Zivildienst und Zivilschutz im Kontext der Weiterentwicklungen des Dienstpflichtsystems, eine Übersicht über die Betreuung und Weiterentwicklung von Einsätzen von Zivis mit behinderten Menschen sowie einen Bericht über die Ausbildung von Zivis in Zeiten von Pandemie und digitaler Transformation.
Ich danke für Ihr Interesse am Zivildienst und Ihre Dialogbereitschaft mit den Mitarbeitenden des Bundesamts ZIVI!
Christoph Hartmann
Direktor